Wie können wir lebenslang lernen?

Wer Einblicke in die Welt der Seminare für Führungskräfte erhält, entdeckt dort viel Merkwürdiges. Zum Beispiel, dass Seminare zur Digitalisierung in der Regel von zentimeterdicken Mappen voller Papier begleitet werden. Der Gipfel der Ironie ist es jedoch, wenn solche Seminare als “Internetführerschein” bezeichnet werden.

Wer seinen Führerschein vor 20 Jahren gemacht hat, ist seitdem gut für die Straße gewappnet. Den Führerschein macht mal ein Mal, für’s Leben. Wer sich heute hingegen auf einen 20 Jahre alten Digital-Führerschein verlassen würde, wäre verloren. Das fiktive Kursprogramm hätte damals vermutlich den Umgang mit dem neu erschienenen Nokia 5110 behandelt. Das hatte noch eine sichtbare Antenne. Smartphones hätte es aber ebensowenig behandelt wie Soziale Netzwerke, Streaming-Dienste, Wearables, Cloud-Services, Machine Learning, Influencer, Selfies oder die Wikipedia – es gab diese Dinge damals schlichtweg nicht.

Das Update-Paradigma

Ein besseres Leitbild für unseren Umgang mit Lernen bietet das Update. Seit dem iPhone ist es jedem verständlich, dass Software nicht mehr einmalig auf einem Datenträger gekauft wird, sondern über das Internet bezogen wird. Es folgen regelmäßige, kleine Updates. So selbstverständlich in den Alltag integriert wie Zähneputzen.

Leider ist das öffentliche Bildungswesen auf Update-Lernen genauso wenig eingestellt wie die betriebliche Weiterbildung. Von unserem heutigen Standpunkt aus stellen sich uns viele Fragen:

  • Fragen nach den notwendigen organisatorischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.
  • Fragen nach den Voraussetzungen auf individueller Ebene – Können und Wollen.
  • Fragen nach der Finanzierbarkeit und wer damit belastet wird.
  • Fragen nach der wiederkehrenden Auswahl der Inhalte.

Utopie und Praxis

Die naheliegenden Utopien im Diskurs um die Zukunft haben natürlich längst Antworten parat: Ein Bedingungsloses Grundeinkommen könnte die notwendige Freiheit zur Weiterbildung schaffen. Die Paradigmen des New Work bieten zahlreiche Methoden, um lebenslanges Lernen in den Arbeitsalltag zu integrieren. Und in einer Wissensgesellschaft wie in Gene Roddenberry’s Star Trek ist Erkenntnisgewinn sogar zentraler Motor dessen, was einmal das Wirtschaftssystem war.

Und dennoch spüren wir in der Praxis, abseits von Utopien und Konferenzen, eine gigantische Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Das zentrale Problem ist nicht das Zielbild, sondern der Übergang. Wie schaffen wir diesen, ohne große Teile der Bevölkerung abzuhängen?

Zwei Aspekte scheinen sicher: Erstens, mit einem inkrementellen Ausbau des heutigen Bildungssystems werden wir nicht weit genug springen. Zweitens, ohne das liberale Ideal des mündigen und neugierigen Individuums wird es auf keinen Fall funktionieren. Wir müssen den Mut haben, das Lernen neu zu lernen!